Die Begriffe Tauschwert und Gebrauchswert stammen aus den Analysen von Karl Marx, aus seinem Hauptwerk "Das Kapital". Sie bieten über ihre ökonomische Bedeutung hinaus viele Bezüge zu unseren Erfahrungen, sind unserer Lebenswirklichkeit nah. Sie bieten eine gute Grundlage, um über einen Richtungswechsels unseres Wirtschaften nachzudenken. Gerne möchte ich versuchen den Reichtum des Begriffes Gebrauchswert zu bergen und den Begriff Tauschwert zu problematisieren.
- Gebrauchswert
Die Beziehung zur Welt erfahren wir auf vielfältige Weise. Natürlich zu allererst durch die Menschen, dann besonders durch die Natur aber auch durch die von Menschen Hand gemachten Dinge. Wenden wir uns diesen Dingen zu! Rosa verweist völlig zurecht auf die Erfahrung hin, dass wir Dinge lieb gewinnen, sie Teil von uns werden, Bedeutung erlangen, die weit über ihren instrumentellen, funktionellen Wert hinausgehen.
Das Wort Gebrauchen: Brauchen hatte ursprünglich die Bedeutung genießen und war auch mit dem lateinischen frui - Frucht- verwandt. Da besteht also der direkte Bezug zur Frucht, zur Ernte, zur Teilhabe an dem was Frucht bringt und genossen werden kann.
Aus unserem Alltag kennen wir diesen Genuss, der stets etwas ganzheitliches, den ganzen Menschen erfassendes hat. Bei der elementaren Handlung des Essens ist es besonders deutlich. Franzosen wissen besser als Deutsche wie wichtig der Genuss der Lebensmittel ist, die gemeinsame Teilhabe an diesem wunderbaren Geschenk, das zugleich vollkommen notwendig ist als auch Genuss, Freiheit Lebensglück bedeutet, und das wir gerade beim gemeinsamen Teilen besonders intensiv erleben.
Wie ist es mit den hergestellten Dingen? Z.B. den Möbeln? Ich höre besonders gespannt zu, wenn mir jemand erzählt, dass diese Kommode sie an ihre Mutter erinnert und sie vor dem inneren Auge sieht, wie sie die Wäsche da hineinlegt und wie sie selbst als Kind die Kommode zum Spielen genutzt hat und ihr das jetzt auch noch 50 Jahre später alles präsent ist.
Auch hier ist das Gebrauchen eine enge Verbindung von Notwendigkeit und Genuss, einem Teilhaben! Mit Rosa dürfen wir von einer Beziehung zu den Dingen sprechen, die beidseitig ist, sie sprechen zu uns, unsere Erfahrungen verbinden sich mit ihnen.
Mehr aus der Beobachtung als aus eigenem Erleben erinnere ich an die Autos. Früher gab es sehr viele Menschen, die zusammen an ihren Autos geschraubt haben. Sie wurden selbst zu Hause repariert. Wie viele Menschen gab es, die sich daran machten Ersatzteile selbst zu besorgen und einzubauen. Fast logisch wurde das Auto, um das sich so viel Mühe gemacht wurde, am Wochenende selbst gewaschen. Für die Bastler war der Bezug zum eigenen Auto ein langjähriges ganzheitliches Erlebnis und fraglos hatte die Familie daran Anteil. So schnell wurde ein Auto, in das man so viel Arbeit gesteckt hat, nicht einfach verkauft oder verschrottet. Es gab eine Bindung zu dem Gefährt. In Dänemark gab es früher unglaublich hohe Steuern auf neue Autos, so dass sich fast niemand ein neues Auto kaufen konnte. Das Land war voller Oldtimer, die aber nicht zur Show bei Oldtimerrallys fuhren, sondern bis in die 80er das Alltagsauto waren. Menschen können sich an ihre Dinge, die sie täglich gebrauchen binden und sie wertschätzen. Dinge können Menschen wertvoll werden, sie können genießen.
2. Tauschwert
So viel ökonomisches Wissen haben wir alle: Wenn wir keine neuen Möbel kaufen, keine neuen Autos kaufen, dann geht die Möbelindustrie, die Autoindustrie pleite und die Arbeitsplätze sind in Gefahr!
Das "Neue", die Innovation bringt erst die Arbeitsplätze und den Wohlstand. Das "Neue", die Innovation bringt Weiterentwicklungen, Wohlstand durch Arbeitsplätze, sehr viel Müll und einen unglaublichen Verlust an Erfahrungen, etwas wert zuschätzen. Nicht alle Aspekte der Neuerung, der Innovation treten gleichzeitig auf. Der größte Teil der neuen Autos, Handy, Laptops, etc. bringt nicht viel wirklich Neues, bedeutet keine wirkliche Weiterentwicklung, aber jede Innovation sorgt dafür, dass in unseren Haushalten nichts mehr alt wird, Bedeutung gewinnt und es erhält die bezahlte Arbeit.
Die Marktgesellschaft musste diese Bindung an die Dinge, die durch das Gebrauchen entstehen, den ganzheitlichen Gebrauchswert unbedingt zerstören, um eine Sättigung der Märkte zu verhindern. Die Möbel sind für mich ein einprägsames Beispiel: In den 60er und 70er Jahren wurde alles mit dem Schlagwort Fortschritts etikettiert, um die Bindung an alte, wertvolle Dinge zu zerbrechen. Viele Menschen stellten ihre wertvollen und hochwertigen Vollholz- und Schreinermöbel auf die Straße oder im besten Fall in den Keller, um sie durch billige Fabrikware zu ersetzen. Als Kind habe ich immer unseren Werkzeugschrank bewundert, der ein alter Küchenschrank war mit Glaseinsätzen für Mehl und Zucker u.a. , die in den Vollholzschrank eingebaut waren und einer Einkaufstafel für die Grundnahrungsmittel aus Blech. Stattdessen kauften meine Eltern einen hässlichen Kücheneinbauschrank aus der Billigproduktion mit Plastikeinsätzen. Bei diesem billigen Schrank war sicher, dass er niemals länger als 20 Jahre halten würde. Bis heute erleben wir, dass Wohnungen von alten Menschen ausgeräumt werden, die ins Heim gehen oder aber auch gestorben sind. Eine gigantische Wertvernichtung unvorstellbaren Ausmaßes. Trotz Ebay landen unendlich viele Möbel im Müll. Wurden früher Möbel über mehrere Generationen genutzt, ist die durchschnittliche Lebenserwartung von Möbeln derzeit bei 10 Jahren angekommen.
In dem Maße wie die Bindung an die Dinge und ihr Gebrauchswert gesunken sind, in dem Maße gewannen der jeweilige Modegeschmack und das Erlebnis des Kaufen selbst an Bedeutung. Hauptsache "neu", "in", "zeitgemäß".
Mit den neu gekauften Möbeln verbindet fast niemand mehr etwas: Heute erzählen Menschen weniger von ihren Erfahrungen mit einem Möbelstück, sondern davon, dass sie es viel billiger bekommen haben, als es eigentlich wert ist. Wenn sie die funktionalen Vorteilen auflisten, hört sich das eher an wie eine Wiedergabe des Werbeprospektes.
Hochwertige Vollholzmöbel werden heute wieder verkauft. Aber die sind heute nur noch etwas für Reiche: Ein Distinktions- oder Statuskauf. Weil sich durchschnittliche Verdiener keine hochwertigen Möbel mehr leisten können, kann man sich jetzt mit dem Kauf solcher Möbel von ihnen absetzen. Die anderen sind ja auf die billige Wegschmeissindustrieware angewiesen.
Die gleichen Entwicklungen ließe sich über den Wert des alltäglichen Essens, den Wert der Autos, die Angebote der Eventindustrie und viele weitere Produkte und Dienstleistungen beschreiben.
Die Wertschätzung der Dinge an sich verliert an Bedeutung. Bedeutung erhalten die Dinge eher, weil wir glauben bei ihrem Kauf an der Weiterentwicklung teilzuhaben, mit dabei sein zu können, wenn sich eine Mode verändert.
Ob das Internet als Plattform für die Sharingcommunity und für Ebay tatsächliche für eine längere Nutzungsdauer der Dinge sorgt scheint vor diesem Hintergrund noch fraglich. Einstweilen ist Amazon ins unermessliche gewachsen. Die Tauschwert- dominiert über die Gebrauchswertorientierung und bedeutet einen Kulturwandel, der den Dingen neben der reinen Funktionalität keinen eigenen Wert mehr beimisst.
Schumpeter nennt diese Entwicklung die schöpferischen Zerstörung! Wir sollten genau beobachten, wie sich das Verhältnis zwischen Schöpfung und Zerstörung verschiebt. Der Ruf neu, neu, neu bringt mit sich eine Zerstörungskraft für die Dinge, die im Ausmaß, der eines Krieges gleicht, die Vermüllung und Zerstörung der Mitwelt ist das Trümmerfeld! Wer will den Kindern den Wert der Dinge erklären, wenn sie erleben, wie schnell ihre Spielzeuge, Handys, Computer, et cetera pp zu Müll werden. Sie lernen: Neu ist per se besser.
Es entsteht die Frage, ob der Hauptwert der Dinge fern von jedem Gebrauchswert im Bruttoinlandsprodukt (BIP) besteht. Wenn das BIP wächst, bleiben Arbeitsplätze erhalten und damit Kaufkraft und der immer schneller werdende Zyklus von Produktion und Konsum wird so zum Selbstzweck in dessen Mitte als Antriebskraft der Tauschwert nicht der Gebrauchswert steht.
Ich habe im Postwachstumskolleg den einprägsamen Satz gehört: Die Veränderung von einer Tauschwert- zu einer Gebrauchswertorientierung macht einen Unterschied ums Ganze. Ich ahne da ist mehr dran, als ich bisher gedacht habe.