Von der Anthropospähre zur Mitwelt

Die Leitwissenschaften für den Umgang mit der Natur sind die Naturwissenschaften und die Ökonomie. Beide zeichnen sich dadurch aus, dass sie den Menschen in den Mittelpunkt stellen ihm die Natur technisch, instrumentelle und funktionell unterordnen. Die Naturwissenschaften und die Wirtschaftswissenschaften rechnen mit dem Leben als ein System von Quantitäten. Dieses Denken in Quantitäten begünstigt selbstverständlich die Instrumentalisierung des Lebendigem als etwas bestimmbares, berechenbares und damit beherrschbares. So ist die unhinterfragte Voraussetzung für die Arbeit der Naturwissenschaft eine Festschreibung (Ontologisierung) des mechanisch-naturalistischen Paradigmas.  Gemeinsam mit der Wirtschaft reduziert sie die Welt auf eine Anthroposphäre. Das Wort Anthroposphäre beschreibt die denkerischer Voraussetzung gegenüber der Welt, die gleichermaßen der Nachhaltigkeitsdiskussion als auch der Idee der ökologischen Modernisierung zu Grunde liegt.

 

Für die Tiere ist Leben der Vollzug der Einheit zwischen sich und der Welt ein sinnhaftes Geschehen. Jedes Tier hat seine subjektive Wirklichkeit aufgrund seiner Wahrnehmung und lebt eine lebendige Homogenität mit seiner Welt. Die Tiere verleihen den Dingen ihre Bedeutung nach eigenen Regeln, die keinem objektiven Verstehen von Außen zugänglich ist. Kein Mensch kann diesen Lebenszusammenhang erfassen, und die Rede von der un möglichen Beschreibung der Angepasstheit des Tieres an seine Umwelt ist Reduktion auf eine Quantifizierung für und eine Ausnutzung durch den Menschen.     

Dabei ist das Leben als Vollzug der Einheit zwischen Tier und Welt eine Qualität, dieser Vollzug hat einen Eigenwert! Das Herausschneiden des Tieres aus den gelebten Beziehungen zur Welt, raubt ihm diesen Wert.   

Wie kommt dieser Eigenwert der Tiere, aber auch der Pflanzen wieder in unser Denken? Sicher sind weder Naturwissenschaften noch  Wirtschaftswissenschaften geeignete Leitwissenschaften für unser Nachdenken über den Umgang mit der Natur. Es braucht die Möglichkeit über die Qualität des Lebens nachzudenken, es braucht die Möglichkeit über ein gutes Leben nachzudenken. Insofern wären die Sozialwissenschaften eine bessere Wahl als Leitwissenschaft für den Umgang mit der Natur, die gesellschaftliche Diskussionen anregen und anstoßen könnte. Erst danach kann die Naturwissenschaft tätig werden und hat ein klarer umrissenes Feld für ihre Forschungen. In der Tat wird in der Soziologie vermehrt über die Überwindung des Reduktionismus, der Fragmentierungen nachgedacht. Die Frage nach einem guten Leben, also über die Qualität des Lebens ist wieder erlaubt und möglich.

 

Hartmut Rosas Ansatz ist ein solcher Versuch. Rosa geht davon aus, dass die Mensch-Natur Trennung überwunden werden muss. Das Verhältnis des Menschen zur Welt, also auch zur Natur ist ihm vorgegeben. Das Verhältnis Mensch-Natur muss demnach als gleich ursprüngliche konstitutive Beziehung gedacht werden, aus der wir uns nicht herausdenken können. Wir nehmen unser Weltverhältnis immer mit in jedes Nachdenken und Forschen über die Welt. Ganz im Sinne des Intraagierens.

Wenn wir Menschen also über die Qualität des Lebens nachdenken, dann immer als Verschränkung von Mensch - Natur und das heißt auch als Verschränkung von Natur - Kultur. Hartmut Rosa schreibt in diesem Sinne eine Soziologie der Weltbeziehungen, in der vorausgesetzt wird, das die Welt, die Natur auch agierend gedacht wird. Die Krise des zerstörerischen Handelns des Menschen fußt auf der Ausblendung dieser Beziehung in der er doch schon immer steht, also für Rosa wesentlich in der Reduktion der Welt auf die Ressource, die Möglichkeit etwas mit ihr zu machen. Stattdessen muss der Mensch für seine Suche nach dem guten Leben seine dauernde Bezogenheit auf Welt berücksichtigen, sonst kann er kein gutes Leben führen.

Rosa sucht unter diesen Prämissen nach nach einem Kriterium für gelungene Weltbeziehungen, die zugleich auch ein gutes Leben bedeuten, ohne dass solch ein Kriterium den individuellen und kulturellen Spielraum unterschiedlichster Verwirklichungen eines guten Lebens zu sehr einschränkt.

Er fasst die normative Kategorie, in der der Menschen seine Bezogenheit zur Welt leben kann, als Resonanz. Hat mir die Welt etwas zu sagen, über den Nutzen hinaus, den ich aus ihr ziehen kann?  Verändert sie mich, weil sie mich berührt und verwandelt, komme ich aus einer Begegnung mit ihr als ein durch die mir widerfahrenen Erfahrungen verwandelter Mensch heraus? Die Beidseitigkeit ist für diesen Ansatz fundamental: Kann ich mich in dieser Beziehung gleichermaßen als selbsttätig erfahren und als affiziert? 

 

Wenn wir unser Leben und unsere Gesellschaft so gestalten, dass auf vielfältige Weise die Art der Weltbeziehung möglich wird, verdient auch die Welt den Namen Mitwelt: Wir sind auf eine Natur bezogen, die einen erfahrbaren Eigenwert hat.     

Rosa findet diesen Eigenwert nicht zu Letzt erfahrbar in dem Erleben der Unverfügbarkeit von Welt und Naturerfahrungen.  In diesem Punkt berührt sich sein Nachdenken mit dem Karen Barad und wie ich meine auch mit dem christlichen Glauben. Das rücksichtslose Benutzen der Schöpfung ist biblisch eine Folge des Sündenfalls, der das menschliche Wissen über den Gesamtzusammenhang alles Geschaffenen verloren gehen ließ. Mit der Feier des Sabbats wird dieser Gesamtzusammenhang wieder eingeholt und wird die Grenze akzeptiert, das die Schöpfung weit über den Nutzen hinausgeht, den wir aus ihr ziehen dürfen. Das Sabbatjahr des Ackers darf nicht auf einen Akt des nachhaltigen Wirtschaftens reduziert werden, sondern der Anerkennung, dass alles Land Gott gehört und damit  unverfügbar ist.