Im Konstruktivismus Buttlerscher oder Luhmannscher Prägung geht sowohl der Bezug zum Ganzen verloren als auch zur Integrität der Person.
Bei Luhmann verbirgt sich das Ganze hinter den Grenzen der Einzelsysteme, so dass jeder/jede Einzelen so dominant auf die Perspektive der Selbsterhaltung des jeweiligen Systems fixiert ist, das ein Blick über die Systemgrenzen immer auf das für den Selbsterhalt des Systems Nötige beschränkt bleibt.
Buttler will das Ganze dekonstruieren- soweit ich das von meinem dürftigen Vorlesungs- und Sekundärliteraturwissen her beurteilen kann - um den hegemonialen Diskurs zu stören, denn nur dort wird ein Ganzes imaginiert mit meist gewaltsamen Konsequenzen für die Einordnung des Einzelnen in diese imaginierten Großzusammenhänge. Die Versuche sich ein Ganzes vorzustellen sind darum als Herrschaftsversuche abzulehnen.
Der Integrität des Einzelnen verschwindet bei Luhmann hinter den jeweiligen Rollenfunktionen in den verschiedenen Systemen.
Bei Buttler ist die Integrität der Person Illusion. Die Person wird nur je in Situationen aktualisiert und nimmt so in einem fließenden Zustand immer wieder neue Formen an.
Hanna Arendt's Vorstellungen bleiben in Kritik und Alternative für mich eine dem christlichen besonders angemessene Form. Allerdings bietet sich bei Ihr auch kein Bezug zum Ganzen der Wirklichkeit, der die Natur einschließen würde. Aber immerhin einen Bezug zum Gemeinsamen der Menschen, der Welt die zwischen uns liegt. Sie vergleicht diesen Zwischenraum mit einem Tisch, an dem wir mit allen anderen sitzen. Der Zwischenraum ist sowohl das was uns trennt als auch das was uns verbindet, beides zugleich. Wie der Tisch an dem sich eine Gemeinschaft versammelt: Der Tisch ist der Abstand zwischen uns aber auch das Verbindenden. Und dieser Zwischenraum ruft geradezu nach Gestaltung und zwar nach der Gestaltung aller. Jede/jeder hat mit seinem/ihrem Platz eine andere Perspektive auf diesen Zwischenraum und macht dementsprechend Vorschläge. Dieser Zwischenraum ist das Politische, das von der Frage geleitet wird: Wie wollen wir zusammenleben?
Was dort nichts zu suchen hat, nach Arendt, ist das Privatinteresse. Das Privatinteresse ist der Bereich des Persönlichen, der im Öffentlichen nichts zu suchen hat, weil dort das Gemeinsame verhandelt wird. Das Privatinteresse beinhaltet alle Fragen des Lebensunterhaltes, der Arbeit, des Haushalts als Rückzugsraum, der Familie, der Liebe, des Schmerzes. Für Hanna Arendt ist es völlig verrückt, dass wir das Privatinteresse in die Mitte stellen und sozusagen den Haushalt veröffentlichen. So reduzieren wir unsere Gesellschaft zu einer Arbeits- und Bürokratiegesellschaft. Das Ganze, als das Gemeinsam zu gestaltende zwischen uns gerät so aus dem Blick und damit verliert der/die Einzelne zugleich den Raum sich als ein*e einzelne*r mit einer besonderen Sicht auf das Ganze und Gemeinsame zu profilieren, ihre besondere Perspektive auf das Gemeinsame einzubringen.
Hanna Arendt fasst das in den Unterschied: In der Gestaltung des gemeinsamen Zwischenraumes wird der/die einzelne zum kreativ Handelnden, Agierenden, in der Arbeits- und Bürokratiegesellschaft verhält man sich nur noch, wird auf ein reaktives sich verhalten gemäß berechenbarer Interessenlage beschränkt. Die Person wird zur berechenbaren Größe und auf ihre privaten Interessen reduziert. So erklärt Hanna Arendt auch schlüssig, wie die Statistik zur Grundlage gesellschaftlicher Planungen werden konnte. Privat heißt ursprünglich im Griechischen beraubt: Der Mensch wird seiner eigentlichen Aufgabe, die gemeinsame Welt zu gestalten beraubt.
Gerade die derzeitige Situation der EU beschreibt diese Situation auf der Makroebene bestens.
Für mich ist das ein fruchtbarer Ansatz, um den Bezug zum Ganzen zu beschreiben, im Gegensatz zu einer Reduktion des/der Einzelnen auf private Bedürfnisse oder Rollenfunktionen, wie ich es bei Luhmann und Buttler wahrnehme.
Gerade für die Systemtheorie ist die Gefahr offensichtlich, dass in der Autopoiesis (Sebsterschaffung) eines Systems keine Person als Handelnder zu erkennen ist. Es ist ein wenig verrückt aber der Konstruktivismus ist als Gegenbewegung zum Idealismus mit seiner krankesten Form des Nationalismus entstanden. Er will unter allen Umständen vermeiden, dass es zu irgendwelchen für alle verbindlichen, gewaltsamen Wahrheiten kommt. Er behauptet eine strenge Weltanschauliche Neutralität, jeder und jede kann denken was er, was sie will. Aber nach Hanna Arendt macht er genau so den eigentlichen Motor des Bösen groß: Den Funktionär, den identitätslosen Menschen, der funktioniert, die Diktatur des man, der sich anpasst, und keine Verantwortung für das Gemeinsame Ganze übernimmt.
Demgegenüber wird mit Bernd Wannenwetsch gesprochen christliche Theologie darauf achten, dass eine elementare Unterscheidung nicht aufgegeben wird: Zwischen den Menschen, die eine Gesellschaft bilden, und der Art und Weise, wie diese formiert wird. Die Machtausübung von Personen muss benennbar bleiben und darf nicht hinter Systeminteressen verschwinden. Es geht um die Entmächtigung der anonymen Kräfte, indem die je persönliche Verantwortung sichtbar gemacht wird, die niemals wieder hinter den jeweiligen Systeminteressen verschwinden darf. Das war ja der Kern des Begriffs 'Die Banalität des Bösen', den Hanna Arendt geformt hat. Das Erschreckende Funktionieren der Bürokratie des Nationalismus wurde möglich weil die Menschen darauf verzichteten das Gemeinsame, das Ganze zu gestalten, sondern sie verhielten sich an ihre Funktion angepasst, reduziert auf ihre Aufgabe im System. Zum Ganzen hatten sie keine Meinung.
Hier finde ich auch die Anliegen von Karen Barad wieder, die die Wissenschaftler aus der Anonymisierung des Wissenschaftssystems herausholen will und die ganzheitliche personale Verantwortung der Arbeit der Wissenschaftler betont: Vom konkreten Versuchsaufbau in der Forschung bis hin zum Zweck der Forschung besitzen die WIssenschaftler*innen je als Person eine benennbare Bedeutung.
Nochmal Wannenwetsch: Soviel Menschen immer von Mächten bestimmt werden, die sie nicht selbst zu kontrollieren vermögen, ist ein Gemeinwesen immer regiert.
Die Politik kann also niemals ein Teilsystem sein, das funktioniert. Die Politik ist der Ort, an dem wir das Gemeinsame, das Ganze verhandeln und gestalten und darum politisch sein müssen.