Überwindung falscher politischer Alternativen nach Nancy Fraser

Nancy Fraser versucht nach strukturellen Verbindungen zwischen den verschiedenen Krisenphänomenen unserer Gesellschaft zu suchen. Sie versucht dabei auch die Bewegung der Rechten besser zu verstehen und die verschiedenen Oppositionsbewegungen wieder füreinander zu öffnen.

 

Nancy Fraser

Ich hatte das Glück Nancy Fraser selbst zu erleben und fand sie inspirierend und ihre Thesen  aufschlussreich. Nancy Fraser ist Philosophin und Politikwissenschaftlerin mit einer Professur in New York an der New School  University of New York city. Sie ist eine der führenden Feministinnen Amerikas und versucht den Feminismus aus der gesellschaftlichen Isolation zu befreien. 

Ich finde von allen Linken Ansätzen ihre gesellschaftliche Analyse am Besten. Das ist nicht verwunderlich, empfinde ich doch die gesellschaftlichen Aufspaltungen, das Wachsen von Parallelwelten, das Leben in ausdifferenzierten Kleinsystemen als fortschreitend entpolitisierend, entsolidarisierend und gerade darum auch gleichzeitig auch die Integrität der einzelnen Person zersetzend. Ganz im Sinne von Hanna Arendt gehört beides zusammen, die Politik, als das Gestalten des Gemeinsamen Zwischenraumes, des Raumes, der zwischen den Teilnehmer*innen einer Gemeinschaft liegt und das Hervortreten der Person aus dem Privaten als klar erkennbares Individuum, gerade in der Politik als der Gestaltung des Zusammenlebens jenseits von individuellen Bedürfnissen  findet der Einzelne Raum seine Persönlichkeit. auszubilden, indem er seine einmalige Sicht auf das Gemeinsame beiträgt.

 

Also darum jetzt zur Theorie von Nancy Fraser. Sie versucht die feministische, ökologische, post-koloniale und linke Kritik miteinander zu verbinden und letztlich auch wieder sprachfähig zu machen für die Probleme der Menschen, die sich der Rechten angeschlossen haben. Sie greift dafür auf Karl Marx und Karl Polanyi (Wirtschaftshistoriker, der in den 1940ern eine Geschichte der Wirtschaft beschreibt, die zu Faschismus und Krieg führte)  zurück und versucht eine Synthese beider.

 

Komodifizierung als Grenzverletzung zwischen Wirtschaft auf der einen und Sozialem, Natur, Politik auf der anderen Seite

   

Karl Polanyi hatte die Idee von den drei „fiktiven Waren“: Arbeit, Natur und Geld. Er nannte sie fiktiv, weil sie eigentlich nicht für den Handel hergestellt werden. Wenn man Arbeit, Natur und Geld aber zur Ware macht, dann werden sie eines Tages zerstört. Wenn man Arbeitskräfte, wie offensichtlich im globalen Süden, aber auch bei uns in der wachsenden Zahl der Zeitarbeiter*innen ohne Regeln kaufen und verkaufen kann, dann wird das irgendwann ihre Fähigkeit zu arbeiten zerstören. Wenn man die Natur zur Ware macht, führt das zu ihrer Zerstörung. Wenn man Geld zu Ware macht - so wie jetzt im Finanzkapitalismus, der versucht Geld aus Geld zu machen – dann zerstört man das Mittel, das der Markt der Waren für den Tausch braucht.

 

Externalisierung und Internalisierung 

Eigentlich, so Fraser, lebt der Kapitalismus von der Externalisierung der Kosten, also der strengen Trennung der Wirtschaft von der sozialen Reproduktion (Kindererziehung, Haushalt, etc.) von der ökologische Reproduktion (Ressourcenabbau und Abfallentsorgung, Regeneration); vom Politischen (Herstellung von Eigentumsrechten, Vertragsrecht, Schlichtung, Infrastruktur). Die Kolonisierung oder Vermarktlichung dieser Bereiche, die seine eigene Existenz sichern, geschieht immer dann wenn zu viel angesammeltes Kapital auf zu wenig Nachfrage stößt und neue Märkte erschlossen werden müssen. (Überakkumulation)       

Für Fraser ist das die Vorlage, um die gemeinsame Systematik hinter den Ökologischen, Sozialen und politischen Krisen unserer Tage zu entdecken. Das kapitalistische Wirtschaften akzeptiert die Grenzen zu den anderen gesellschaftlichen Bereichen nicht,  übertritt und verletzt sie regelmäßig und dominiert so das ganzes Gesellschaftssystem, das sich darum nicht hinreichend als kapitalistisches Wirtschaftssystem sondern viel besser als kapitalistisches Gesellschaftssystem beschreiben lässt.

Es ist eine Farce zu behaupten, der Markt könne sich selbst regulieren. Lässt man es aber geschehen, dann zerstört der Kapitalismus in Zeiten der Überakkumulation des Kapitals durch Vermarktlichung genau die Lebensbereiche, die er selbst zum Überleben braucht: Soziale Reproduktion, Natur, Arbeit, Geld und den Staat, der ihm u.a. die Rechtssicherheit für das Eigentum und öffentliche Infrastruktur gewährt. In Zeiten der Überakkumulation höhlt er alle drei Bereiche von innen aus und schwört in den Bereichen der fiktiven Waren Geld, Natur, Soziales die jeweiligen Krisen herauf, die deswegen nicht voneinander getrennt betrachtet werden dürfen. Darum ist ein Grundirrtum der Kommunisten, sich so auf den Klassenkampf zu fixieren, da es sich in Wirklichkeit um Grenzverletzungen gegenüber allen anderen Bereichen der Gesellschaft handelt. Der Kampf der Arbeiter um die Arbeitsbedingungen ist nur ein Teil der Grenzkämpfe im Bereich des Sozialen. 

 

Die Sonderrolle der Emanzipationsbewegung   

Als Feministin ist Fraser natürlich wichtig zu beschreiben, dass es auch noch die Emanzipationsbewegungen des Feminismus, des Antirassismus und des Antikolonialismus gibt. Gerade am Feminismus lässt sich ablesen, wie er von zwei Seiten unter Druck gerät: Einmal durch das Patriarchat, das den Bereich des Sozialen beherrscht und den Frauen die Freiheitsrechte nimmt und andererseits durch den Kapitalismus, der die tatsächlich geleistete Reproduktionsarbeit der Frauen ausbeutet, entwertet. So haben die Emanzipationsbewegungen ihren Ort bei den Grenzkämpfen zwischen Wirtschaft und Sozialem weder auf der Seite der Marktradikalen noch auf der Seite des Sozialen mit ihren Patriarchalen Traditionen und Strukturen. Gerade der Feminismus konnte sich nicht auf die Verteidigung des sozialen Bereichs beschränken, sondern musste die Chance nutzen sich durch ein Bündnis mit den liberalen Marktkräfte aus den partriarchalen Strukturen zu befreien. Auch geschichtlich haben sich die Emanzipationsbewegungen für die Befreiung der Sklaven, der Frauen, der Homosexuellen hat nie eindeutig einer Seite angeschlossen bei den Kämpfen um die Grenzziehungen zwischen Wirtschaft und den Bereichen des Sozialen, der Politik, des Staates, der Arbeit, der Ökologie, des Geldes.  Deshalb stehen diese Emanzipationsbewegungen  quer zu den beschriebenen Grenzkämpfen. Die EManzipationsbewegungen haben aber gerade in Zeiten der Globalisierung, in denen sich die Wirtschaft von nationalstaatlichen Grenzen löste die strategische Nähe zu den Neoliberalen suchen müssen, um aus den bestehenden sozialen Strukturen sich lösen zu können.

 

In der Folge hat das aktuell dazu geführt, dass der globalisierte Neoliberalismus und die Emanzipationsbewegungen von Gender und Antirassismus sich auf einer gemeinsamen Seite mit Hillary Clinton wiederfanden und große Teile der Widerstandsbewegung gegen die Grenzverletzungen des sozialen Bereichs (Arbeiter) auf der Seite des reaktionären, nationalistischen Trump wiederfanden, um die Grenzüberschreitungen des globalisierten Kapitalismus abzuwehren. Es war die Wahl zwischen Pest und Cholera. Die Alternativen waren die falschen, quer zu den Problemen.   

 

Ich finde, so unvollkommen ich sie auch wiedergegeben habe, den Ansatz spannend, um die gesellschaftliche und politische Wirklichkeit zu begreifen und falsche Trennungen zu überwinden. .