Wo stehe ich drei Wochen vor dem Ende meiner Jenazeit?

Wenn Reduktionismus das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Lösung. Gerne würde ich jetzt schon so  Hartmut Rosa's Anfangssatz aus seinem Buch Resonanz aufgreifen und seinem Lösungsansatz folgen. Er hat ja auch genügend Wege gewiesen auf denen der Reduktionismus in die größeren Problembeschreibung von Beschleunigung und Entfremdung Eingang in seine kritische Theorie finden kann. Aber ich selbst brauche in meiner Gedankenbewegung Zwischenschritte. 

Einer der Zwischenschritte müsste es sein zu beschreiben wie gerade die Postwachstumsdiskussion, wegen der ich ja nach Jena gegangen bin, vielfach versucht Reduktionen zu überwinden, versucht Problembereiche wieder miteinander zu verbinden, aus der Isolation herauszubringen und dabei wie ich finde sehr spannende Ergebnisse erzielt.  

 

Zum anderen führte für mich kein Weg am Green New Deal, der ökologische Modernisierung vorbei, weil beide Strömungen den Diskurs über die Umweltprobleme beherrschen.  Ganz offensichtlich hat diese Überzeugung aber ihre Heimat in der Systemtheorie, die wie der gesamte Konstruktivismus, zu dem sie gehört, keinerlei Bezugnahme zu dem Ganzen erlaubt.

 

Umwelt ist für diese ganze Erkenntnistheorie ein extrem wichtiger Begriff, da für den Menschen alles Umwelt ist, zufällige, kontingente Umwelt, aus der erst im gesellschaftlichen Diskurs Kultur und Welt je neu und zufällig konstruiert werden muss. Bei Luhmann erfolgt die Konstruktion nach den Kriterien funktional/disfunktional und bei Judith Buttler etwas sympathischer nach dem Kriterium der Verletzbarkeit des Menschen. Selbstverständlich ist Natur im selben Sinne Umwelt, nur eben anders als die soziale Umwelt eine ganz passive Umwelt. Sie kann noch nicht einmal am Diskurs der sozialen Konstruktion der Wirklichkeit teilnehmen. Natur hat im Konstruktivismus systematisch keinen anderen Platz als eine zufällige, eben kontingente,  passive  Wirklichkeit, die je nach hegemonialen Diskurs anders konstruiert wird. Sie kann ihre Verletzbarkeit nicht einbringen. Sie bleibt wie alles andere, wie Welt insgesamt im dunklen Riesenraum, der sozial konstruiert werden muss, um mit ihm umzugehen.

 

Karen Barad's Versuch  die Natur aus der vollkommenen Dunkelheit hinter der sozialen Konstruktion der Wirklichkeit hervorzuholen klingt spannend, und wäre einen weiteren Zwischenschritt der Auseinandersetzung wert. Karen Barad sagt über Judith Buttler: "Leider setzt Buttler's Theorie die Materie letztlich wieder als passives Produkt von Diskurspraktiken fest statt als einen aktiven Akteur, der am eigentlichen Prozess der Materialisierung Teil hat." Danach lechzen alle wieder, dass endlich die Materialität der Wirklichkeit wieder eine Rolle spielt, die im Konstruktivismus so unterbelichtet war. Darum heißt der Ansatz von Karen Barad und anderen "Neomatrialismus". 

 

Einstweilen aber scheint die gesamten Erkenntnistheorie des Konstruktivismus eine Bezugnahme auf das Ganze der Weltwirklichkeit und auch auf die Natur zu verunmöglichen. Die Natur verbleibt der willkürlichen Bezugnahme des Menschen als seiner Umwelt ausgesetzt. Das wir es hier mit einer geschichtlichen erkenntnistheoretischen Gegenbewegung zu den Ideologien des 20.Jahrhunderts zu tun haben ist evident. Theolog*innen kennen die verheerenden Folgen einer Dogmatik, die von den Schöpfungsordnungen sprach und sich einfach von den Deutschen Christen und den Nazis vereinnahmen ließ. Aber der Pendelschlag geht zu weit.

 

Fast der gesamte Diskurs über die Umweltfrage verläuft so. Mir selbst war nie so klar, dass der Konstruktivismus tatsächlich trotz aller sonstigen Unterschiede gerade was die Natur angeht nicht anders denkt als zu Hegels Zeiten: Umwelt als zu konstruierende, als zu zerlegende, zu vernutzendes Eigentum, eben als Teil des menschlichen Kulturschaffens, dem erst Wert zukommt insoweit der menschliche Geist Natur aus der Dunkelheit unspezifischer Umwelt herausholt und zur Kultur macht: In der Nachhaltigkeitsdebatte eben zur erhaltensnotwendigen Lebensgrundlage des Menschen. 

 

Umwelt Probleme sind also bis heute keine Probleme der Natur, gar der Geschöpfe, sondern ausschließlich Problem des Menschen, nämlich das Problem seiner Selbstgefährdung, insoweit er auf die Natur als Lebensgrundlage angewiesen ist      Punkt

 

Zum einen: Seit mir erschüttert bewusst geworden ist, dass sowohl der bisherige Nachhaltigkeitsdiskurs als auch der Diskurs über die ökologische Modernisierung von dieser Prämisse her geführt werden,  fühle ich mich gezwungen, biblisch-theologisch dagegen zu argumentieren. Ich habe die Schöpfung nie als Eigentum des Menschen verstanden, auch nicht als Bühne für seine Erlösung, wie Karl Barth. Ich gestehe, ich habe Karl Barths Theologie in vielen Hinsichten immer geschätzt, aber in dieser Frage geht er mir auch zu weit. Ja mir scheint solch ein Denken der Bibel vollkommen fremd zu sein und ich kann auch keine Vorstufen erkennen, die sich in diese Richtung verlängern ließen.

 

Zum anderen ist meine Wahrnehmung geschärft, wie alles Nachdenken über Veränderung der Gesellschaft verzweifelt nach dem archimedischen Punkt sucht, nach normative Maßstäbe für die Gestaltung eines Ganzen, nämlich der Gesellschaft, um einen Hebel zu haben, von dem aus sich etwas bewegen ließe. Aber dabei darf nicht autoritär etwas Kontingentes festgeschrieben werden, das doch nur im gesellschaftlichen Diskurs untergehen würde. 

 

Insofern stehe ich vor einem ähnlichen Problem: Wie kann ich einen so dringend nötigen Bezug zum Ganzen beschreiben, ohne willkürlich autoritäre Festschreibungen vorzunehmen?