Was ist Kommodifizierung?
Kommodifizierung bezeichnet den Prozess der Kommerzialisierung bzw. des „Zur-Ware-Werdens“ (englisch: commodity=Ware). Kommodifizierung bedeutet die Privatisierung von vorher gemeinschaftlich genutzten Ressourcen oder einfach bisher gar nicht genutzten natürlichen, frei zugänglichen Dingen, Verhalten, Leben, das noch gar keine Ressource war, aber durch die Kommodifizierung zu einer Ressource wird.
Berühmte, skandalisierte Beispiele sind die Privatisierungen von Wasserressourcen in Afrika und Asien durch Nestle und Coca Cola, die inmitten von Dürreregionen wie Äthiopien, in denen Menschen verdursten, in ihren Fabriken das Grundwasser abpumpen, abfüllen und in Plastikflaschen verkaufen und nach ihren eignen Geschäftsberichten in Nordafrika und Asien damit guten Gewinn erwirtschaften.
Aber die Durchdringung unseres Lebens mit immer mehr marktgängigen Waren ist ein allgemeiner und umfassender Prozess.
Das Spielen der Kinder ist für mich ein Beispiel verloren gegangenen freien Lebens. Früher einmal war das Kinderspiel keine Ressource, heute ist es eine sehr wichtige wirtschaftliche Ressource. Der Markt für Waren, deren Zielgruppe Kinder sind, hat sich gewaltig ausgeweitet. Das Wort Zielgruppe hat für mich schon immer einen gewalttätigen Klang, erinnert gerade die christliche Kirche, wie sie Zielgruppen für die Mission beschrieben hat. In der Wirtschaft unserer Tage ist der Kang nicht weniger gewalttätig. Die Flutung der Kinderzimmer mit Spielzeug, mittlerweile mehr in Form von Hard- und Software für Computerspiele, aber auch das immer frühere Leben mit kommerziellen Musikangeboten und natürlich auch das frühere Greifen des Modemarktes für Kinder ist enorm.Natürlich hat auch hier die Pädagogisierung und Optimierung Spuren hinterlassen und neben viel Erziehungsliteratur auch reichlich und natürlich immer wieder neu nach aktuellem Stand der Wissenschaften pädagogische Spielzeuge und Dienstleistungen Einzug gehalten.
Als ein kleineres Beispiel dafür, dass die fortschreitende Technik selbstverständlich zu einer Ausweitung des Marktes führt, kann die Autoreparatur gelten. Früher kannte ich viele Menschen, die privat und in Eigenarbeit Autos reparierten.
Die komplizierte Elektronik und die Digitalisierung hat die Reperatur von Autos in Eigenarbeit weitestgehend verunmöglicht und diesen Bereich fester in die Hand der kommerziellen Anbieter gebracht.
Die Digitalisierung ist der Hauptbereich für die Ausweitung des Marktes, die Kommerzialisierung weiterer Lebensbereiche. Facebooks Wert an den Aktienmärkten fußt zu 70% auf dem Versprechen mit den dort gewonnen Nutzerdaten weitere Lebensbereiche dem Marktzugriff zuführen zu können.
Der Hauptmotor dieses Prozesses sind die erwirtschafteten Gewinne, das akkumulierte Kapitals, dessen Besitzer dafür dringend wieder neue Investitionsmöglichkeiten suchen und sich den größten Profit in die Investition neuer Märkte versprechen können, ob geographisch neu wie derzeit in China oder in neue Lebensbereichen, wie z.B. das digitalisierte, intelligente Haus.
Natürlich geht es nicht um Verschwörungstheorien, wonach wenige mächtige Menschen in der Wirtschaft noch in der Lage wären, gezielt weltweite Prozesse lenken zu können. Es geht aber um strukturelle Fragen, die ein eindeutiges Gefälle aufzeigen. In der Soziologie beschäftigen sich praxistheoretische Ansätze darum, differenzierter zu beschreiben wie neue Marktsegmente eröffnet werden. Die Forschungen beschäftigen sich mit der sozialen Organisation von Normalität. Ein gut erforschtes Beispiel sind die Klimaanlagen.
Beispiel: Siegeszug der Klimaanlage
In den USA definierten Wissenschaftler in 1920er Jahren eine Durchschnittstemperatur, die die meisten Menschen als angenehm empfinden. Unternehmen erkannten darin eine Möglichkeit mit neuen Produkten neue Lebensbereiche für den Markt zu erschließen. Die Klimaanlage wurde erfunden und die Werbung dafür hatte tatsächlich relativ großen Erfolg. In den 60er Jahren wurde schließlich für die Klimaanlagen der Gebäudestandard für den Hausneubau geändert, um den Einbau serienmäßig zu garantieren. Damit war der Ausbreitung der Klimaanlage endgültig der Weg gewiesen. Das bedeutete die Verdrängung anderer bautechnischer Lösungen in Amerika: Häuser mit Veranda und Fenstern, die je nach Bedarf geöffnet und geschlossen werden konnten, aber auch Häuser in Südeuropa, die mit dicken Steinmauern und zurückliegenden Fenster gebaut wurden, waren keine Alternativen mehr. Aber auch Lebensstile veränderten sich, wie das im Tagesablauf oder in saisonalen Rhythmen an die wechselnden klimatischen Bedingungen angepasste Leben und Kleiden. In südlichen Ländern wurden die Arbeitszeiten geändert und die Siesta abgeschafft, und der normierte Arbeitstag rund um die Welt eingeführt. Durch die gleichzeitig flächendeckende Verbreitung der Wachmaschine änderten sich die die Hygienevorstellungen und Schwitzen galt erst als unangenehm, dann gar als unhygienisch und gesellschaftlich nicht mehr tolerabel. Und das auch in heißen Ländern, so dass in der Folge auch der gesamte Verkehrsbereich klimatisiert wurde. Dieser Trend eröffnete aber auch einem wachsenden Markt von Hygieneartikeln die Türen. Der Normalisierungsprozess der Klimaanlage kann mit einem Zahnradmodell verglichen werden, indem ein Rad ins andere greift und Veränderungen im Bau, Mode und Hygiene mit sich bringt. Hinter dieser Standardisierung stand sowohl die strukturierende Kraft neuer Techniken als auch das Interesse akkumuliertes Kapital, gewinnbringend zu investieren.
Bedeutung für Lösungssuche in der Mitweltkrise
Das Beispiel zeigt die Grenzen aller Ansätze auf, die für eine Lösung unserer Mitweltprobleme auf individuelle Konsumentscheidungsfindung setzen und mit Informationskampagnen versuchen Aufmerksamkeit für die Mitwelt zu gewinnen. Niemand ist am Konsum von Energie interessiert, das sind nur implizite Aspekte normaler als selbstverständlich erachteter Wohn-, und Hygienestandards, Ernährungs- oder Mobilitätspraktiken. Es macht danach auch wenig Sinn, diese Praktiken etwas grüner zu machen, sie aber als Praktiken nicht zu hinterfragen. Entscheidend ist es die Mechanismen der Herausbildung und Verfestigung solcher Normalitätsstandards und die immanenten Dynamiken der jeweiligen Praxisgefüge zu entschlüsseln. In diesem komplexen, nicht eindeutig steuerbaren Prozess, gibt es aber strukturell doch einen ganz entscheidenden gesellschaftlichen Antriebsmotor: Unsere Gesellschaft ist darauf angewiesen sich durch Wirtschaftswachstum selbst zu stabilisieren. Ohne die Wirtschaft von vollkommenen Orientierung auf den Tauschwertorientierung zu befreien und auf eine Orientierung auf den Gebrauchs umzustellen, wird es keine Lösung dieser Probleme geben.