Green New Deal
Der bevorzugte Lösungsweg für die ökologische Krise in unserer Zeit ist der Green New Deal, der grüne Kapitalismus. In diesem Denkansatz wird die Lösung als evolutiver, sich selbst regulierenden Prozess im Wirtschaftssystem selbst gesehen. Viele Realos der Grünen hängen dieser Theorie an und erreichen mit dem Versprechen, das Wirtschaftswachstum nicht anzutasten, mittlerweile das größte Wählerpotential aller Parteien in Deutschland.
Green New Deal ein Kind der Systemtheorie
Die Lösung des grünen Kapitalismus ist aus der Systemtheorie erwachsen und sieht das Wirtschaftswachstum nicht als Problem sondern als Problemlösung. Die Kapitalakkumulation ist wesentlicher Teil des Wirtschaftswachstums. Der erwirtschaftete Gewinn, das akkumulierte Kapital wird in einer neuen Runde der Innovationen reinvestiert und zwar entweder in die Effektivität der Produktion oder in die Marktausweitung durch neue Produkte. Um Kosten zu senken wird also die Effizienz gesteigert und bei steigenden Preisen für Öl und Kohle auf Erneuerbare Energien umgerüstet, um so systemlogisch die Energiekosten zu senken.
Meist (vor allem bei den Grünen) wird dabei auf unterstützende regulierende Eingriffe des Staates zur Beschleunigung dieses Prozesses gesetzt: Staatliche Einführung von Grenzwerten, staatliche Anschubsubventionen für die Durchsetzung „grüner“ Techniken und die „In Wertsetzung“ von Natur werden als Löungsmodule angeboten. INwertsetzung der Natur bedeutet, den Naturverbrauch gibt es nicht mehr umsonst, sondern die Kosten der Natur werden in den Produktionsprozess internalisiert.
Die IPAT-Formel, ein anthropozentrisches oder gar imperiales Rechenmodell?
Das Ganze stellt sich bei den Theoretikern dieses Ansatzes als Rechengleichung dar, der sogenannten IPAT-Formel: Das Ausmaß der Umweltbelastungen (I) ist vor allem eine Funktion von Bevölkerungszahl (P), ihres Anspruchs- und Verbrauchsniveaus (A) und des Entwicklungsniveaus von Wissenschaft und Technik (T).
Die Formel macht ganz deutlich, dass die Natur ausschließlich vom Nutzen für den Menschen her gesehen wird: Ästhetische Beeinträchtigungen für den Menschen, gesundheitliche Gefahren für den Menschen und Schädigungen von Sachwerten für den Menschen sind die Größen in denen gedacht und gerechnet wird. Dem Earth System Engineering und dem geokybernetischen Management wird die Lösung zugetraut. Es sind keine Verhaltensänderungen bei den Menschen notwendig, im Gegenteil der Mensch soll weiter wie gewohnt konsumieren, um das für die Lösung notwendige Wirtschaftswachstum zu generieren, das ja erst das Kapital bereitstellt, mit dem die Wissenschaft den notwendigen technischen Fortschritt finanzieren kann. Von Mitwelt zu reden verbietet sich in der Logik dieser Denkrichtung, denn sie hat keinen Eigenwert sondern nur einen Nutzwert. Das Konzept der Nachhaltigkeit meint ausschließlich nachhaltig für den Menschen, nachhaltigen Gebrauchswert für die menschlichen Nutzer*innen.
Faktor 10 oder die messianische Rolle der Wissenschaft
Das Buch Faktor 10 beschreibt den geglaubten Lösungsweg im bestehenden System: Der Ressourcenverbrauch soll durch wissenschaftliche erarbeitete Effizienz- und Konsistenzsteigerung um den Faktor 10 gesenkt werden. Nachdem die Antiatomkraftbewegung die Wissenschaft in einen tiefen Zweifel gestürzt hat, ob sie noch die gesellschaftliche Zukunft wesentlich gestalten kann, weist der Green New Deal der Wissenschaft wieder eine oder vielleicht die entscheidende Rolle für die für die Lösung der gesellschaftlichen Probleme zu. Das Buch Faktor 10 liest sich fast wie die Selbstinthronisation der Person des Wissenschaftlers als messianische Rettergestalt, der allein befähigt ist zur Rettung der Welt und der Menschheit. Seine einzige Voraussetzung ist die Ausstattung mit finanziellen Mitteln durch ein gesundes Wirtschaftswachstum, das darum unter keinen Umständen zu gefährden ist.
Adam Smiths tiefer Glaube lebt fort: Die unsichtbare Hand des Marktes ordnet den Egoismus, damit er dem Gemeinwohl dient.
Der Charme des Lösungsvorschlags des Green New Deal liegt in dem Versprechen an den globalen Norden: „Niemand muss verzichten!“ Es handelt sich um die gleiche Logik mit dem die sozialen Probleme innerhalb der westlichen Gesellschaften und weltweit gelöst werden sollen. Das Wirtschaftswachstum wirft einen Gewinn ab, der an alle verteilt werden kann, eben auch an die Ärmeren und an die Wissenschaft zur Finanzierung der Fortentwicklung verbesserter Ökotechnik. So hängen wirklich alle sozialen wie ökologischen Hoffnungen in dieser Systemlösung am Wirtschaftswachstum.
Die Verheißung dieser Systemlogik „Niemand muss verzichten!“ ist fest im Denken der Menschen des globalen Nordens verankert und ist wesentlich verantwortlich für den Aufstieg der Rechten in Europa und Amerika. Die Anspruchshaltung Anteil am bei jeder Wahl versprochenen Wachstums- und Fortschrittsgewinn zu bekommen, ist tief in das Bewusstsein der Menschen im globalen Norden eingedrungen. Viele sehen aber in den Flüchtlingsströmen aus dem Süden, genauso wie in der ökologische Krise eine Bedrohung des Wirtschaftswachstums, der diesen tief geglaubten Anspruch gefährden könnte. Darum verbindet sich die Angst vor Wirtschaftsflüchtlingen mit der Abwehr, irgendwelche Einschränkungen wegen des Umweltschutzes zu akzeptieren. Alle erfolgreichen rechten Bewegungen haben sowohl Fremdenfeindlichkeit, als auch die Leugnung des Klimawandels auf ihrer Agenda, sehen in Migration und Umweltschutz gleichermaßen eine Gefährdung ihres tief empfundenen Anspruchs an den Früchten des Wirtschaftswachstums und des Fortschritts Anteil zu bekommen.
Ökologische Bildungsbürger wirklich bessere Menschen?
Auffällig ist, dass gerade diejenigen Bildungsbürger*innen, die sich einem ökologischen Lebenswandel und dementsprechend politischer Ausrichtung verschrieben haben, nach erhobenen Statistiken die meisten Ressourcen verbrauchen, mehr als z.B. die "besorgten Bürger*innen".
Der Glaube an das unbegrenzte Wirtschaftswachstum scheint die Anhänger*innen in zwei Lager zu teilen, in die optimistischen Gewinner*innen, die glauben, dass der Reichtum sowohl für die Migrant*innen reicht als auch für die Generierung des ökologischen Fortschritts, und in die besorgten Wachstumsgläubigen, die das Wirtschaftswachstum gleichermaßen von Migranten (durch eine vermutete Anspruchshaltung der Migranten und eine Überlastung der Sozialsysteme) gefährdet sehen als auch durch eine ökologische Regulierung (die Unternehmen würden über Gebühr belastet und im globalen Wettbewerb benachteiligt).
Es ist ganz offensichtlich wie das Fortschrittsdenken eine Fortschreibung einer imperialen Lebensweise ist: Auch bei den Vertretern des Green New Deal heißt es wieder einmal im Blick auf die nahende Umweltkatastrophe lapidar: „Der unterentwickelte Süden müsse an die technischen Standards des Nordens angepasst werden.“ Wie zu kolonialen Zeiten wird auf die „unterentwickelten“ und „zurückgebliebenen“ Völker herabgeschaut. Ein Verhalten, das sich innerhalb der südlichen Länder wiederholt, wo z.B. die indigenen Völker des brasilianischen Urwalds als Entwicklungshemmnis für die Wirtschaft und den Fortschritt gesehen werden. Darum finanzieren in Brasilien die industriellen Landwirte Organisationen, die sich um die Vertreibung der „primitiven“ Indios aus dem Urwald kümmern, mit Anwälten und Lobbyisten, die die Politiker*innen bearbeiten aber auch mit bewaffneten Gruppen, die die Indigenen mit direkter Gewalt vertreiben, um endlich an ihr Land zu kommen und den Urwald zu roden und für Sojaanbau und Viehwirtschaft zu nutzen, eben das Wirtschaftswachstum hervorzubringen, das die Entwicklung, die Modernisierung vorantreibt.
Unterordnung unter den Wachstumsimperativ
Der Anspruch des Green New Deal eine technisch-wissenschaftliche Systemlösung zu finden, reduziert tendenziell Bildung auf die funktionalen Bedürfnisse der Gesellschaft und ihrer Subsysteme. Die Bildungseinrichtungen sind dazu da, Menschen Kompetenzen zu vermitteln, die sie in die Lage versetzen, dem wirtschaftlichen Wachstum und dem technischen Fortschritt zu dienen, sie sind darum systemadäquat auszubilden. Die Universitäten sind auf diese Weise für eine enge Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Lehre umgebildet und auf die funktionalen Bedürfnisse der Wirtschaft mehr und mehr ausgerichtet worden. Soziale und politische Kompetenzen werden marginalisiert und funktionalisiert als Fähigkeit zur Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Schließlich ist das menschliche Überleben, die Lösung sowohl der sozialen als auch der ökologischen Probleme auf dem Planeten Erde, keine Frage politischer oder sozialer Kompetenzen sondern der Wirtschaftskraft und des Technikfortschritts.